Freitag, 24. Oktober 2008

AMR 16 zu Punkt 04

Krebs durch die Gießerei?
Ehemaliger VW-Mitarbeiter will Anerkennung seines Leidens als Berufskrankheit

Kassel. Dass Friedhelm Nickel (60) noch lebt, wiederspricht allen Prognosen der Ärzte. Er hat sieben Chemotherapien hinter sich, 62 Bestrahlungen und eine Lungenoperation, bei der ein faustgroßer Tumor entfernt wurde. "Unser ganzes Leben ist aus den Fugen geraten", sagt Angelika Nickel (54). Ihren Beruf als Altenpflegerin kann sie nicht mehr ausüben. Sie muss sich um ihren Mann kümmern. "Ich bin ein Pflegefall", sagt Friedhelm Nickel.
Bis zu 700 Grad
Drei Jahrzehnte hat der gelernte Maurer in der Gießerei von VW in Baunatal gearbeitet. Dort wurden gebrauchte Motorblöcke bei Temperaturen von 680 bis 700 Grad eingeschmolzen. Die so genannte Grätze, nicht brauchbares Aluminium, musste abgeschöpft werden. Zum Schutz vor der Hitze hätten er und seine Kollegen asbesthaltige Schürzen und Handschuhe getragen, so Friedhelm Nickel. Auch das Spray, mit dem sie Motorblöcke auf Risse untersucht hätten, sei hochgiftig gewesen. Friedhelm und Angelika Nickel sind davon überzeugt, dass die Krebserkrankung auf die Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist.
Seit dem Jahr 2002 hat sich der Gesundheitszustand von Friedhelm Nickel rapide verschlechtert. Kaum aus einer Kur zurück, brach er im Oktober 2003 zusammen. Diabetes, chronische Bronchitis und jetzt die Diagnose Lungenkrebs. Mitte 2004 sagte der behandelnde Arzt zu Angelika Nickel, dass ihr Mann wohl nur noch eine Woche zu leben habe. Der Mediziner sollte sich zum Glück irren.
Die Nickels setzen darauf, dass eine genaue Untersuchung des entfernten Tumors ihre Vermutung untermauern würde, dass die Arbeit in der Gießerei gesundheitsgefährdend war. Doch sie werden enttäuscht. Man habe das Material irrtümlich vernichtet und nicht ins Labor geschickt, so die Auskunft der Würzburger Klinik.
Enttäuschungen
Das sollte nicht die einzige Enttäuschung bleiben. Friedhelm Nickel kann nicht mehr arbeiten und stellt einen Antrag auf Frühverrentung. Innerhalb von 14 Tagen ist das Thema erledigt. "Ich hatte den Eindruck, dass sowohl VW als auch die Krankenkasse das schnell vom Tisch haben wollten", sagt Angelika Nickel. Ihr Mann sei nicht der einzige ehemalige Gießereimitarbeiter, der krank sei. Es gebe weitere Betroffene, und es seien Abfindungen gezahlt worden. VW bestreitet das (siehe: Das sagt Volkswagen). Ex-Kollegen von Friedhelm Nickel hätten dazu etwas sagen können. Doch unmittelbar vor einem Termin mit der Ärztin der Berufsgenossenschaft hätten die ihre Zusage zurückgenommen. "Die waren beim Betriebsrat und haben mir dann abgesagt", sagt Friedhelm Nickel. So ziehen sich die Verhandlungen mit der Berufsgenossenschaft weiter hin. Wenn die das Krebsleiden als Berufskrankheit anerkennen würde, wären die Nickels zumindest finanziell entlastet. Das Geld als Frührentner reicht hinten und vorn nicht.
Doch die Berufsgenossenschaft sieht bislang keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Arbeit in der Gießerei und der Krebserkrankung. Womöglich kam Nickel bereits während seiner früheren Tätigkeit als Maurer mit asbesthaltigem Zement in Berührung. Das macht die Ursachenforschung nicht leichter. Dass er früher geraucht hat, scheide als Grund dagegen aus. "Das war ein Adeno-Karzinom, wie es bei Rauchern nicht vorkommt", so Angelika Nickel. Im Zweifel müsste diese Fragen ein Gericht klären. Doch auf juristischem Weg kommen die Nickels nicht weiter. Im Jahr 2005 haben sie eine Klage beim Kasseler Sozialgericht eingereicht. Bis heute ist nichts passiert.
Die Nickels hoffen jetzt darauf, dass sich ehemalige Mitarbeiter der Gießerei melden, die ebenfalls gesundheitliche Probleme haben. "Ohne Unterstützung kommen wir nicht weiter", sagt Angelika Nickel.
Von Thomas Siemon
http://www.localxxl.com/lokal_nachrichten/kassel/Krebs%2Bdurch%2Bdie%2BGie%25C3%259Ferei%253F1203293040

Keine Kommentare: