Samstag, 18. Oktober 2008

Anhang AMR 03, 3

Die Feindschaft im Büro wird teuer
Von Jochen Zenthöfer




Im Berufsleben geht es nicht immer kollegial zu
27. November 2007
Arbeitgeber beobachten das Urteil mit Argwohn, die Betroffenen jubeln: "Endlich bekam mal ein Mobbing-Opfer Recht vor dem Bundesarbeitsgericht", freut sich "Tom" im Mitgliederforum von mobbing-gegner.de. Und er hat recht. Das Bundesarbeitsgericht hat zugunsten eines Mobbing-Opfers entschieden, und damit einige Hürden eingerissen, die von der Rechtsprechung in der letzten Zeit aufgebaut worden waren (Urteil vom 25. Oktober 2007 - Az. 8 AZR 593/06).
Bisher war es äußerst schwierig, Verletzungen oder Schäden durch Diskriminierung am Arbeitsplatz überhaupt zu beweisen. So meinte das Oberlandesgericht Stuttgart, dass bei an sich rechtmäßigem Handeln - wie einer Beurteilung - Mobbing nur dann anzunehmen ist, wenn dahinter "ausschließlich ein Schikanewillen steht". Beweisbar war das in der Regel nicht. Deshalb hat die neue Entscheidung des BAG so große Bedeutung. Das Gericht hat die Beweisführung erleichtert - und Streit im Büro könnte für Arbeitgeber ein wirtschaftliches Risiko werden.
Als der Chef- den Oberarzt mobbte
Das Gericht hatte den Fall eines Oberarztes zu entscheiden, der Chefarzt werden wollte. Seine Bewerbung wurde abgelehnt. Ein Externer schaffte den Sprung auf die prestigeträchtige Stelle. Eine schwierige Situation für beide - aber auch eine Situation, die täglich hundertfach im Arbeitsleben auftritt. Der Streit war also nicht von Beginn an programmiert. Trotzdem hielten es beide nicht miteinander aus. Nach vielen Reibereien und einem erfolglosen "Konfliktlösungsverfahren" wurde der Oberarzt wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. Er fehlte mehr als ein halbes Jahr.
Nach seiner Rückkehr setzte sich die krankmachende Atmosphäre fort. Zwei Monate später war der Oberarzt abermals dienstunfähig. Nun begann sein langer gerichtlicher Kampf um Anerkennung - und um Schmerzensgeld von seinem Arbeitgeber. Das Krankenhaus bestritt "Mobbing-Handlungen" seitens des Chefarztes. Der Arbeitgeber habe durch das Konfliktlösungsverfahren alles in seiner Macht Stehende getan, um das Verhältnis der Streithähne zu entspannen. Aus diesem Grund wies das Arbeitsgericht die Klage des Oberarztes ab. Auch beim Landesarbeitsgericht hatte er kein Glück. Dieses stellte zwar fest, dass der Chefarzt "mobbingtypische Verhaltensweisen" gezeigt habe, die auch den zwischenmenschlichen Umgang betroffen hätten. Schadensersatz gebe es dafür jedoch nicht. Der Grund: Der Chefarzt konnte nicht vorhersehen, dass der Kläger aufgrund der Auseinandersetzungen psychisch erkranken werde.
Auf die Höhe des Schmerzensgeld kommt´s nun an
Ein erfahrener Mediziner soll nicht erkennen, dass "mobbingtypische Verhaltensweisen" krank machen? Dass diese Argumentation vor dem BAG nicht tragen würde, war vielen Beobachtern klar. Tatsächlich stellte das Gericht klar: Der Chefarzt hat die psychische Erkrankung seines Kollegen schuldhaft herbeigeführt. Für den Schmerzensgeldanspruch habe das Krankenhaus einzustehen, da der Chefarzt - so das Juristendeutsch - sein "Erfüllungsgehilfe" sei. Wie hoch das Schmerzensgeld ausfällt, muss nun die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht, entscheiden.
Von dieser Bewertung hängt ab, ob sich Klagen von Mobbing-Opfern in Zukunft häufen werden. Bislang blieben sie rar und erfolglos. "Das wird sich nun ändern", sagt der Freiburger Rechtsanwalt Florian Braune aus der Kanzlei Abletshauser, Gröger & Kollegen. Er verweist auf die Rechtslage: Nach Paragraph 75 Betriebsverfassungsgesetz sind "alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln". Der Arbeitgeber muss also durch eine entsprechende Organisation der Betriebs- und Arbeitsstrukturen Mobbing ausschließen. Das bedeutet: Er darf selbst nicht aktiv mobben, er darf aber auch nicht - passiv duldend - mobben lassen. Vielmehr ist er verpflichtet, Abhilfe zu schaffen, bis hin zur Abmahnung und Kündigung eines mobbenden Mitarbeiters. Und in Zukunft "werden Rechtsanwälte noch deutlicher auf den Anspruch auf Schmerzensgeld drängen", sagt Braune: "Dem BAG sei Dank!" Entschädigungssummen amerikanischer Art erwartet Rechtsanwalt Braune zwar nicht, "aber ein Schmerzensgeld im höheren fünfstelligen Rahmen".
Mobbing wird zur monetären Größe
Das Bundesarbeitsgericht stellte aber auch klar, dass Mobbing-Opfer nicht die Entlassung ihrer Peinigers verlangen können. Wenn Arbeitgeber spüren, dass unkalkulierbare Schmerzensgeldforderungen auf sie zukommen können, werden sie künftig eher bereit sein, leitende Mitarbeiter auch nach deren Fähigkeiten in Mitarbeiterführung zu prüfen. So wird Mobbing von einer "soft skill"-Thematik zur monetären Größe im Unternehmen. Und für Arbeitgeber wird die Prävention deutlich an Bedeutung gewinnen.
Die neue Rechtsprechung hilft Opfern nur vor Belästigungen am Arbeitsplatz. Einschüchterungen, Nötigungen oder Verletzungen können aber auch nach der Arbeit weitergehen. Hier hat der Gesetzgeber Abhilfe geschaffen mit einem vor wenigen Monaten eingeführten neuen Straftatbestand. Paragraph 238 des Strafgesetzbuches verbietet "Stalking", also das beharrliche Verfolgen und Belästigen einer anderen Person, zum Beispiel indem man sie ständig anruft, für sie Waren im Internet bestellt oder sie bedroht. Wer sich so verhält, heißt es im Gesetz, und die "Lebensgestaltung" des Betroffenen dadurch "schwerwiegend beeinträchtigt", dem drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.
Opfer müssen frühzeitig Beweise sammeln
Stalking und Mobbing können zusammentreffen, wenn ein Arbeitskollege das Opfer sowohl im Büro als auch zu Hause ständig belästigt. Gibt es also auch Schadensersatzansprüche gegen Stalker oder gar gegen den Arbeitgeber? In einem Aufsatz für die neueste Ausgabe der "Neuen Juristischen Wochenschrift" (NJW) bejaht der Habilitand Thorsten Keiser einen solchen Anspruch und stützt ihn auf Paragraph 826 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Vorschrift lautet: "Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet." Bisher wurde die Norm restriktiv ausgelegt und nur in einigen wenigen Fallgruppen angewandt. Stalking sei besonders verwerflich, argumentiert Keiser, und damit als sittenwidrig anzusehen. Der Schädiger bringe schließlich durch sein Verhalten eine massive Missachtung der Selbstbestimmungsrechte des Opfers zum Ausdruck. Wenn das Opfer auch eine psychische Gesundheitsschädigung nachweisen könne, habe es auch noch weitergehende Schadensersatzansprüche.
Damit die Opfer von Stalking und Mobbing ihre Ansprüche künftig auch praktisch umsetzen können, sollten sie frühzeitig Beweise sammeln. Wer eine psychische Beeinträchtigung durch fremde Verhaltensweisen behauptet, muss zwei Dinge beweisen: Zum einen die "schädigende Handlung" selbst, dabei hilft ein "Mobbing-Tagebuch" zur Dokumentation aller Verletzungen. Zum anderen muss man die zurechenbaren psychischen Folgen belegen, die in der Regel von einem sachverständigen Arzt oder Psychiater aufgenommen und dem Gericht vorgetragen werden. Eine gute Vorbereitung verkürzt das ohnehin schon belastende Gerichtsverfahren. Ein Mobbing-Opfer bringt es im Online-Forum auf den Punkt: "Wollen wir hoffen und selbst dafür sorgen, dass dieses Urteil Schule macht."
Text: F.A.Z., 24.11.2007, Nr. 274 / Seite C2
Bildmaterial: Getty

Keine Kommentare: