Dienstag, 21. Oktober 2008

Anlage AMR 09, zu 2

Kampf gegen Korruption
Helden oder Verräter?
Krumme Touren in Unternehmen und Behörden werden meist von internen Informanten aufgedeckt. Ruhm ernten die Tippgeber hierzulande allerdings selten.
Von Hans Leyendecker

Jahrelang überlegte eine Mitarbeiterin der deutschen Ikea-Zentrale in Wallau, ob sie bei Schiebereien in der Bauabteilung des Unternehmens weiterhin wegschauen sollte. Dann teilte sie der Staatsanwaltschaft in Frankfurt schriftlich mit: "Die ganze Sache belastet mich seelisch und moralisch sehr. Diesem Treiben muss Einhalt geboten werden." Verfahren gegen 59 Beschuldigte wurden eingeleitet.

Ein anderer Fall: Mit großer Hartnäckigkeit wies vier Jahre lang ein Insider des Luftfahrt- und Militärkonzerns EADS auf Unregelmäßigkeiten und Korruption in dem Unternehmen hin. Er schrieb drei Briefe an das Verteidigungsministerium und andere zuständige Stellen, aber erst nach vielen Wirren landete die Post schließlich bei der Münchner Staatsanwaltschaft. Die leitete gegen ein Dutzend Verdächtige Verfahren ein. Einige der Beschuldigten sind schon verurteilt, andere stehen derzeit in München noch vor Gericht.

Krumme Touren in Unternehmen, Hinweise auf systematische Steuerhinterziehungen, die Verletzung von Sicherheitsanforderungen in Kernkraftwerken, Fälschungen, Betrügereien im Wissenschaftsbetrieb oder im Sport - immer wieder werden Missstände durch Tipps von Hinweisgebern aufgedeckt. Auf so unterschiedliche Skandale wie die Siemens-Affäre oder den Alltag an der Polizeihundeschule in Herzogau machten Kenner der Verhältnisse die Staatsanwaltschaften aufmerksam.
Immer mehr Tippgeber
Es gibt über das Phänomen keine umfassende Statistik, aber manches deutet darauf hin, dass die Zahl der Tippgeber im Lande zunimmt. Wenn sie anonym bleiben wollen, gelten sie nicht selten als feige Denunzianten. Wenn sie unter ihrem Namen auftreten, sind sie für die einen Helden, für die anderen Verräter.

"Von Freunden gemieden, vom Recht verfolgt - das ist das gewöhnliche Schicksal derjenigen, die sich im Interesse von Frieden, Umwelt oder anderen höchstrangigen Rechtsgütern zum Bruch der Verschwiegenheit entschließen", erklärte schon vor Jahren der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling.

"In Deutschland gilt derjenige als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn gemacht hat", schrieb einst Carl von Ossietzky. Gern wird die Tätigkeit von Hinweisgebern mit dem englischen Begriff "whistleblowing" umschrieben. Das lässt sich mit "Alarmschlagen" oder "Alarmglocken Läuten", aber auch "Verpfeifen" übersetzen. Von "ethischen Dissidenten" spricht der Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth.

Das Wort "Whistleblowing" wurde erstmals Anfang der sechziger Jahre in den USA benutzt, wo einige der bekanntesten Fälle spielen: "Ich bin der Typ, den sie Deep Throat nannten", enttarnte sich vor zweieinhalb Jahren der frühere FBI-Vize W. Mark Felt. Er war der Whistleblower in der Watergate-Affäre, die US-Präsident Richard M. Nixon in den siebziger Jahren das Amt kostete.

In Berlin erhielt vor einigen Jahren der amerikanische Ökonom Daniel Ellsberg den "Whistleblower-Preis". Er hatte durch die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere einen großen Skandal im Umfeld des Vietnam-Krieges publik gemacht.
Watergate-Charme
Jüngst erschien in den USA eine Studie, in der amerikanische Ökonomen untersuchten, wie zwischen 1996 und 2004 in den USA 230 Betrugsfälle in Unternehmen aufgedeckt wurden. Die bekanntesten Skandale waren Betrügereien und Bilanzfälschungen der Konzerne Enron und WorldCom, die verheerende Folgen für die Beschäftigten hatten.

Fazit der Studie: Zwei Drittel der Fälle wurden nicht durch Unternehmensleitungen enthüllt, sondern durch Mitarbeiter (19 Prozent), durch Medien (16 Prozent), Behörden (16 Prozent), Finanzanalytiker (15 Prozent), Wirtschaftsprüfer (14 Prozent) und die Börsenaufsicht (6 Prozent). Die Akteure, die von Berufs wegen Betrügereien vorzubeugen haben, wie Börsenaufsicht oder Wirtschaftsprüfer, waren also nicht besonders effektiv.

Die Autoren der Untersuchung schlugen vor, die Position auskunftswilliger Insider zu stärken, die in den USA - verglichen mit Deutschland - schon eher gut ist. Der 2002 eingeführte Sarbanes Oxley Act stärkt die Rechte der Tippgeber, soll aber auch Öffentlichkeit vermeiden.

Durch ein internes Meldesystem sollen Konflikte gelöst werden. "Der Watergate-Charme geht endgültig verloren und staatsbürgerliche Pflicht nimmt feste, freilich auch entschieden weniger risikoreiche Formen an", kommentiert der Frankfurter Rechtsprofessor Spiros Simitis die Entwicklung.

Aber selbst wenn sie geschützt werden, können Tippgeber nicht vor Unbill bewahrt werden. Im Fall Ikea nahm sich der Hauptbeschuldigte Manfred B. in der Untersuchungshaft das Leben, und die Tippgeberin musste in Therapie. Seitdem träumt sie manchmal von B. In ihrem Traum kommt sie in den Himmel und B. ist schon da: "Was willst du denn hier?" fragt er.

(SZ vom 27.12.2007/beu)

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