Sonntag, 26. Oktober 2008

Anlage AMR 21 zu Punkt 5

Lokales
Deutschlands teuerste Kündigung
Von GERALD SCHMIDTKUNZ
Bad Hersfeld / Wiesbaden. Justizia auf neuen Wegen: Eine Schadensersatzklage in noch nicht da gewesener Größenordnung von einer halben Million Euro läuft erstmals in Deutschland wegen Diskriminierung. Geführt wird die Klage gegen den R+V-Versicherungskonzern von Anwälten der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht e.V. (DGADR), mit Sitz in Bad Hersfeld.

Der Rechtsfall:

Sule Eisele-Gaffaroglu (38) fühlt sich als Mitarbeiterin der R+V-Versicherung von ihrem Arbeitgeber geschlechtlich diskriminiert. Während ihrer zweiten Schwangerschaft verlor sie im Dezember 2006 ihre gut bezahlte Zuständigkeit als Versicherungsbetreuerin im Raum Bad Saulgau / Oberschwaben. Schon an ihrem letzten Arbeitstag vor dem dreimonatigen Mutterschutz habe der Arbeitgeber Sule Eiseles Passwort zum Firmenrechner gesperrt und ihr ihren Dienst-Nachfolger vorgestellt.
Am ersten Tag nach dem Mutterschutz habe der Chef sie dann drängen wollen, Elternzeit zu nehmen und ihr gleichzeitig für ihr berufliches Fortkommen wichtige Schulungen verweigert. Sule Eisele-Gaffaroglu suchte juristischen Beistand und fand ihn in den Fachanwälten Prof. Dr. Klaus Michael Alenfelder (Bonn) und Frank Jansen (Bad Hersfeld) von der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht.
Deren Präsident, Dr. Alenfelder, und sein Stellvertreter, Jansen, nannten den Vorgang eine herabsetzende stille Kündigung und arbeiteten eine gut hundertseitige Klageschrift aus, die sie beim Wiesbadener Arbeitsgericht einreichten.
Seit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG) am 18. August 2006 (der Kreisanzeiger berichtete) ist diese Schadensersatzklage der Höhe nach die erste ihrer Art, die je vor einem deutschen Gericht verhandelt wurde. Dabei ist die für hiesige Verhältnisse exorbitant hohe Klagesumme von 500.000 Euro, gemessen an Eisele-Gaffaroglus monatlichem Bruttogehalt von 3.500 Euro, keineswegs aus der Luft gegriffen.
„Das AGG, wie auch EU-Richtlinien dazu, sehen bei Verstößen ausdrücklich sehr hohe und abschreckende Strafen vor“, erklärte Prof. Dr. Alenfelder im Gespräch mit dem Kreisanzeiger. „Eine übliche Daumenregel für den immmateriellen Schaden: Ein Jahresgehalt, mindestens 30.000 Euro. Hinzu kommt die Komponente der materiellen Ersatzansprüche etwa aus dem Einkommensverlust oder aus den durch Diskriminierung möglicherweise entstehenden Ausgaben wie psychische Betreuung oder Kosten des Rechtsstreits.“
Mehrfach diskriminiert
Arbeitsrechtler Jansen ergänzt, dass bei der Klagesumme berücksichtigt werden muss, dass es sich um eine mehrfache Diskriminierung handelt. Neben dem Vorwurf der Geschlechtsdiskriminierung klagt seine deutsche Mandantin türkischer Herkunft zudem auf eine ethnische Benachteiligung.
Müssen sich nun auch deutsche Unternehmen auf immer höhere Schadensersatzklagen nach angelsächsischem Vorbild einstellen? Beispielsweise sind in den USA Unternehmen schon zu mehr als 100 Millionen Dollar und in Großbritannien bis zu 2,4 Millionen Euro Schadensersatz verurteilt worden.
Eine solche Entwicklung sehen Alenfelder und Jansen (noch) nicht, obwohl ihre Klage vor dem Wiesbadener Arbeitsgericht alle Aussicht auf einen Präzedenzfall hat. „Die Mehrheit der Diskriminierungsvorwürfe kommt derzeit gar nicht zur Verhandlung“, erläutert der DGADR-Präsident und nennt dafür drei Gründe. Das erste Problem ist die Beweissicherung für die Verfahren. „Allein die Behauptung, man werde in der Firma gemobbt, reicht für eine Klage nicht aus.“
Zum Zweiten empfinden es hier zu Lande noch immer viele Diskriminierungsopfer als „normal“, dass Frauen weniger verdienen als Männer; oder dass Arbeitnehmer ab 40 Jahre mit der Begründung des „hohen Alters“ von Stellenbewerbungen ausgeschlossen, bzw. bei der Besetzung von Führungspositionen übergangen werden. Der dritte Grund: Die Mehrheit der bisherigen AGG-Verfahren kam gar nicht erst zur Verhandlung, weil sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf außergerichtliche Vergleichszahlungen – oft schon in fünfstelliger Höhe – geeinigt hatten.
„In der Regel“, so Frank Jansen, „sind bei solchen Vergleichen Stillschweige-Klauseln mit vereinbart. Deshalb werden solche AGG-Fälle in der Öffentlichkeit nicht bekannt.“
Policen gegen Ansprüche
Doch nun hat mit der R+V-Versicherung ausgerechnet der Konzern eine Klage am Hals, der seinen Kunden Versicherungspolicen gegen Schadensersatzansprüche wegen Diskriminierung anbietet. Der Prozess beginnt am Montag, 18. Februar.

Zur Sache
Das AGG sieht vor, dass im Arbeits- und Geschäftsleben niemand wegen seiner ethnischen Herkunft oder Rasse, seines Geschlechts oder Alters, seiner Behinderung, sexuellen Orientierung, Religion oder Weltanschauung benachteiligt werden darf.
In Deutschland sind die Möglichkeiten des AGG laut Prof. Dr. Klaus Michael Alenfelder noch viel zu unbekannt. Viele Opfer akzeptierten Diskriminierung etwa auf Grund Geschlecht oder Alter oft als „normal“, weil es eben immer so gewesen ist. Das AGG verbietet Arbeitgebern seit dem Sommer 2006, Beschäftigte wegen bestimmter Merkmale zu benachteiligen und verpflichtet sie, die Mitarbeiter vor Diskriminierung durch Kollegen, Vorgesetzte und auch Dritte – beispielsweise Kunden – zu schützen. Dazu gehört auch eine Schulung der Mitarbeiter über das AGG.
Viele Arbeitgeber haben sich allerdings schon auf andere Weise gewappnet. Gerüchten zufolge soll es bereits eine Schwarze Liste geben, die namentlich benannte Personen als „AGG-Hopper“ brandmarkt; also Angestellte, die ihre Chefs schon einmal mit dem Gesetz konfrontiert haben, ungeachtet der Tatsache ob es zu internen Vergleichen oder zu Gerichtsverhandlungen kam.
Dieser Liste will die DGADR in Kürze eine „Opferfibel“ entgegensetzen. Wer sich in seiner Firma diskriminiert fühlt, kann darin nachlesen, ob sein Fall in irgend einem Punkt Ähnlichkeiten mit der ganzen Palette vom Mobbing über schlichte Benachteiligung bis hin zur sexuellen Diskriminierung aufweist – und ob der Weg zum Anwalt geraten ist.
Mehr unter www.dgadr.org

Keine Kommentare: